Seit einigen Wochen steht fest, dass sich der Spatenstich für den Bau der Intel-Fabriken in Magdeburg weiter verzögern wird. Wir als Sozialkombinat Ost begleiten die Intel-Ansiedlung nun seit einem Jahr kritisch und veröffentlichen die wichtigsten Kritikpunkte jetzt über unsere Social-Media-Plattformen. Gemeinsam mit lokalen Akteur:innen in Magdeburg wie Fridays for Future haben wir erste Analysen entwickelt. Wie verhält es sich mit Intel und gewerkschaftlicher Organisierung? Was bedeutet die Intel-Ansiedlung vor dem Hintergrund der politischen Ökonomie Ostdeutschlands? Wir nehmen Stellung und laden alle Interessierten dazu ein, unsere Thesen kritisch weiterzudenken.
Subventionen als Wetteinsatz – die Intel-Ansiedlung aus geopolitischer Perspektive
Die Intel versprochenen Subventionen zum Bau der Fabriken stellen eine Wette dar, bei der noch nicht ausgemacht ist, ob die schon jetzt realen privaten und staatlichen Kreditinvestitionen in der Zukunft Profite erbringen werden bzw. die neuen Standorte profitabel produzieren können. Dafür stehen die Chancen, trotz des in den nächsten Jahrzehnten wohl immer weiterwachsenden Markts für Halbleiter, aktuell gar nicht gut. Die nächsten fünf Jahre werden zeigen, ob es Intel gelingen wird, bei der Entwicklung und Fertigung von Chips gegenüber der Konkurrenz aufzuholen.
Trotz der enormen Subventionen von EU und USA sieht die finanzielle Zukunft von Intel aktuell düster aus. Wenn 2027 in Magdeburg die Halbleiterproduktion anläuft, sprechen hohe Kosten, geringe Margen und volatile Konjunkturzyklen bei der Fertigung von Halbleitern dafür, dass es bei 9,9 Milliarden Euro für die Intel-Ansiedlung nicht bleiben wird, damit Intel mithilfe des Standorts Magdeburg Gewinne erzielen kann.
Intel und Klima – Wie wird der hohe Wasser- und Energiebedarf von Intel die Stadt verändern?
Durch die Ansiedlung werden die Verteilungskämpfe zwischen der Industrie, Landwirtschaft und lokalen Bevölkerung in Magdeburg und Umgebung zunehmend prägnanter. Der zusätzliche Energieverbrauch durch den Standort Intel wird schätzungsweise zu einer Verdopplung des Magdeburger Energiebedarfs führen. Eine Steigerung, welche durch den versprochenen Windpark nicht gedeckt werden kann. Neben dem enormen Energiebedarf werden 1.000 Hektar Ackerland versiegelt und eine enorm hohe Menge an Wasser aus Elbe und Grundwasser umgeleitet und abgezogen, um die Produktion zu gewährleisten. Bis zur letzten Ausbaustufe der Chipwerke könnten so bis zu 72.000 Kubikmeter Wasser täglich verbraucht werden, das wäre ein Novum für unsere Region.
Durch die dauerhafte Versiegelung des fruchtbaren Bördebodens fehlen in der Zukunft nicht nur wichtige Flächen für die regionale Lebensmittelherstellung und Sicherheit, sie verursacht in der Folge eine Verringerung der Biodiversität, was weitgreifende Ernteausfälle auf benachbarten Feldern zur Folge hat. Aus klimapolitischer Sicht zeigt sich, dass die Stadtverwaltung als Erfüllungsgehilfe des US-Konzern fungiert. Dabei werden mögliche Auswirkungen auf das Klima weitestgehend ignoriert oder klein geredet, während gleichzeitig versucht wird, alle Hindernisse im Sinne Intels aus dem Weg zu räumen.
Herausforderung für den Arbeitskampf – die Intel-Ansiedlung aus gewerkschaftlicher Perspektive
Die Intel-Ansiedlung in Magdeburg wird die Gewerkschaften vor enorme Herausforderungen stellen. Erfahrungen mit vergleichbaren internationalen Unternehmen in (Ost-) Deutschland wie Amazon und Tesla haben gezeigt, dass diese Konzerne Strategien gefunden haben, um gewerkschaftliche Organisierung zu erschweren. Gleiches wird Intel tun und moderne und an die deutschen Verhältnisse angepasste Methoden des „Union Busting“ anwenden. Für die Gewerkschaften bedeutet dies nicht nur die Notwendigkeit neuer Strategien, um bspw. arbeitgebernahe Betriebsräte zu verhindern. Die Intel-Ansiedlung erfordert mehr denn je offensive und kämpferische Gewerkschaften, die den Konflikt mit der Kapitalseite nicht scheuen.
„Wilkommenskultur“ nur für hoch qualifizierte Fachkräfte – eine antirassistische Perspektive
Intel ist auf eine hohe Anzahl an Fachkräften aus dem Ausland angewiesen. Stadt und Konzern bemühen sich deshalb, Magdeburg einen weltoffenen Anstrich zu verpassen. So wird von der Stadt im Zuge der Ansiedlung von Verbesserungen oder gar einer „Willkommenskultur“ gesprochen. Während sich in der Realität migrantische Menschen in Magdeburg mit rassistischen Übergriffen konfrontiert sehen, verdeutlicht der Vorschlag, eine eigene Zweigstelle der Ausländerbehörde ausschließlich für Intel-Fachkräfte einzurichten, eine Zwei-Klassen-Politik, in der die sofortige Verwertbarkeit der Arbeitskraft die Voraussetzung für die „Willkommenskultur“ darstellt.
Transparenz und Beteiligung sind mangelhaft – über Intels Strategie, Magdeburger:innen für sich zu gewinnen
Intel setzt aktuell auf öffentlichkeitswirksame Lobbyarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren in Magdeburg, ist aber mit seinem aktuellen Firmensitz am Hasselbachplatz unsichtbar. Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten sind mangelhaft. Es bleibt unklar, welche Baumaßnahmen Intel wann unternimmt, wie viele Arbeitskräfte benötigt werden, welche Straßen neugebaut, welche Böden versiegelt werden. Intel selbst pflegt hier eher den „American Standard“ – das Unternehmen bestimmt, wann welche Informationen nach außen getragen werden. Parallel dazu versucht Intel, mit caritativen Aktionen und Sponsoring im Gespräch zu bleiben sowie positive Emotionen zu wecken. Defacto gibt es aber keine Beteiligungsprozesse.
Intel und Ostdeutschland – bringt Intel 35 Jahre nach der Wende endlich blühende Landschaften?
Die „Filialökonomie“ in Ostdeutschland hält bis heute an und geht mit einer strukturellen Transferabhängigkeit (u. a. durch Subventionen) vom und einem permanenten Kapitalabfluss an den Westen und westliche Firmen einher. Es braucht aber eine Vision für eine Transformation der ostdeutschen Ökonomie, die Transferabhängigkeiten und Kapitalabflüsse aufbrechen kann und nicht nur von einem einzigen Unternehmen abhängig ist. In Anbetracht der ostdeutschen Kollektiverfahrungen aus den 1990er Jahren muss die Beteiligung der ansässigen Bevölkerung und der Intelbeschäftigten an Entscheidungsprozessen ermöglicht werden, um der wachsenden kollektiven Unsicherheit entgegenzuwirken.
Wohnen und Soziales – Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt und im Sozialbereich
Mieten und Bodenpreise werden steigen, weil die Nachfrage durch Zuzug von Intel-Fachkräften wächst und die Erwartungshaltung besteht, dass die Nachfrage steigen wird. Wohnungsbaugesellschaften planen neue Bauprojekte gemeinsam mit Intel, während zeitgleich bereits mehr Investitionen von Privatpersonen/ -unternehmen in Immobilien getätigt werden. Ein Brandbrief kommunaler Wohnungsunternehmen an die Politik hat verdeutlicht, dass sich die Situation für Mieter:innen in Magdeburg unabhängig von der Intel Ansiedlung dramatisch verschlechtern wird. Bereits mit der Ankündigung der Ansiedlung Intels hat die Spekulation mit Immobilien in Magdeburg spürbar zugenommen. Neben steigenden Mieten wird der Wohnungsbau, insbesondere für Wohlhabende vorangetrieben werden. Verdrängungsprozesse und eine steigende soziale Ungleichheit werden zwangsläufig die Folge sein. Intel wird also die ohnehin dramatischen Zukunftsaussichten auf dem Wohnungsmarkt weiter zuspitzen.
Kitas und Schulen müssen neugebaut und ausgeweitert werden. Dazu gehört auch mehr Personal und Ausgaben für die Kitas und Schulen, damit Erzieher:innen und Lehrer:innen mit der zunehmenden Zahl an Kindern und Schüler:innen nicht überfordert ist. Schon jetzt setzt die Stadtverwaltung viel zu schnell den Rotstift bei den Sozialausgaben für die Stadt an. Wenn hier nicht umgedacht wird, droht der soziale Kollaps. Es braucht mehr Bäder, Jugendklubs und Stadtteilzentren, damit nicht noch mehr soziale Konflikte entstehen.