Der 3. Oktober lässt keinen Spielraum in der Deutung darüber, wofür dieses Datum zustehen hat: Ein Tag an dem die deutsche Einheit gefeiert wird, der Tag an dem die DDR-Bürger:innen ihre vermeintliche Freiheit zurückbekamen, Bilder der einstürzenden Berliner Mauer durchziehen ebenso die mediale Darstellung wie die Grenze passierende Trabis, deren Fahrer:innen verheißungsvoll in die Zukunft blicken.

Doch welche Zukunft? Eine Zukunft im Kapitalismus, in dem man zwar alles kaufen kann, aber noch lange nicht alles hat, was man braucht, in der man vor allem keine soziale Sicherheit erfährt und schlimmstenfalls bedroht war von Armut und Arbeitslosigkeit, während der Osten ausverkauft wird; eine Zeit, in der sich die westdeutsche Hegemonie und ihre Abwertung ostdeutscher Lebensleistung Bahnen brach.

Das alles ist keine längst hinter uns liegende historische Episode. Die Folgen der Wiedervereinigung sind auch in uns, diejenigen, die die DDR nicht mehr aktiv miterlebten, verankert. Die Erfahrungen unserer Familien leben in uns weiter, die Angst, den Job und den kleinen hart erarbeiteten Lebensstandard zu verlieren, die Assimilation – bloß nicht auffallen – nehmen was man kriegen kann – die Flucht in Alkohol, zerstörte Familien – das alles haben wir miterlebt.

Wir sind nicht eins – der Osten hängt durch die wirtschaftliche Struktur der Filialökonomie immer noch am westdeutschen Tropf, hier gibt es einfach weniger Wohlstand, weniger Ersparnisse, es wird weniger vererbt und das Lohngefälle zwischen Ost und West ist immer noch erschreckend. Gleichzeitig fließen hier erarbeitete Gewinne stetig ab in die Taschen westdeutscher Kapitalisten. Wen wundert es da, dass die Inflation Menschen in Ostdeutschland besonders hart trifft?

Wie sollen Menschen in Ostdeutschland, in Sachsen-Anhalt und in Magdeburg mit diesen enormen finanziellen Belastungen fertig werden? Und wie kann es sein, dass die Menschen hier vor Ort von der Politik so alleine gelassen werden? Wir brauchen schnelle finanzielle Hilfe für diejenigen, die von der Inflation schwer getroffen sind – wir brauchen jetzt einen Sozialfonds in Magdeburg, oder besser: in ganz Sachsen-Anhalt!

Der ökonomischen Situation in Ostdeutschland muss Rechnung getragen werden, die starke Betroffenheit durch die Inflation muss dazu führen, dass Ostdeutsche und von Armut Betroffene besondere Unterstützung erhalten.

Wir müssen die Unterschiede zwischen Ost und West wieder aktiv thematisieren – uns nicht anpassen an den westdeutschen Standard, nicht schweigen, sondern laut werden, auf die Ungerechtigkeit hinweisen und zusammen an diejenigen denken, die im Zuge des Ausverkaufs des Ostens in den 90er Jahren und darüber hinaus, ausgebeutet wurden, ihren Lebensmut verloren und sich in die innere Emigration flohen; an unsere Eltern und Großeltern, die sich einem radikalen und entfesselten Markt gegenübergestellt sahen und an diejenigen, die auf der Suche nach den Verheißungen des Kapitalismus sich selbst verloren haben.

Das Narrativ einer Alternative zur Wiedervereinigung ist in den letzten Jahren kaum gehört worden. Aber die Wiedervereinigung war nicht alternativlos. Deswegen denken wir heute auch an unsere Genoss:innen, die bereits vor 32 Jahren für eine progressive, antiautoritäre und sozialistische Alternative zur Wiedervereinigung gekämpft haben.  

Lasst uns an ihre politischen Kämpfe anknüpfen und sie fortführen. Lasst uns weiter gegen die kleinen und großen Ungerechtigkeiten kämpfen, ostdeutsche Lebensrealitäten anerkennen und uns die Kämpfe unserer Genoss:innen aus der Wendezeit wieder in Erinnerung rufen, uns fragen, wie wir leben wollen, wie die Überwindung dieser menschenverachtenden, kapitalistischen Gesellschaft aussehen kann und wie wir eine progressive gesellschaftliche Wende herbeiführen können.

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